Einschulung
Über ein kollektives Verhalten bei Einschulungen von Erstklässler*innen, für das ich einfach nicht geschaffen bin und was mir insgesamt gefehlt und was mich gestört hat.

Unsere Tochter wurde endlich eingeschult. Sie darf sich jetzt stolz “Erstklässlerin” nennen. Das wird sie natürlich nie selbst tun. Sie wird höchstens sagen: “Ich gehe in die erste Klasse.” Der gesamte Prozess war dann doch anstrengend. Gerade mit Corona und Vorkehrungen umso erschwerender. Ich bin für solche Dinge nicht gemacht. Ich kann damit auch kaum umgehen.
Seit Wochen hat meine Frau (sie ist von Beruf her ausgebildete Schneiderin und hatte es zuletzt zur Schnittdirektrice (Modellierung) geschafft) am Kleid für die Einschulung gearbeitet. Sie sorgte dafür, dass der blaue Saum zum weißen Tüll und zum Glitzer passte, der “Ranzen” ideal für unsere Tochter ist und dass die Schultüte genau ihren Zweck erfüllt und ein Hingucker wird. Gefüllt wurde das Ungetüm, dass am Ende fast genauso groß wie unsere Tochter wurde, natürlich mit viel Naschkram, aber auch neuen Spielfiguren und Nützlichem für den neuen Schulalltag.
Kosten und Nutzen
Der Kostenpunkt dieser Aktion kann nicht in Geld gemessen werden, weil eben die Arbeitszeit meiner Frau und der Stress für meine seelischen Qualen nicht angemessen entlohnt und bewertet werden kann. Es war auf jeden Fall viel zu viel. Der Druck, der auf Kindern an solchen Tagen lastet, ist immens. Der Druck auf Eltern ebenso. Dabei ist die Veranstaltung weder etwas sehr Wichtiges, noch etwas Wegweisendes. Es wird aus meiner Sicht viel zu viel Aufsehen um die Einschulung von Kindern gemacht.
Heute früh, als wir dann endlich losgehen wollten, wurde es mir dann auch zu viel. Meine Frau wollte natürlich nicht zu spät kommen, natürlich wollte sie einen positiven Eindruck hinterlassen und natürlich wollte sie, dass unsere Tochter an diesem Tag glänzt und mit Bravour alles meistert. Bis zu einem gewissen Grad kann ich so etwas dann auch verstehen. Aber nur bis zu einem gewissen Grad. Ich musste meine Frau stoppen und das tat ich dann auch. Denn sie hatte völlig vergessen, worum es eigentlich an diesem Tag gehen sollte.
Freuen auf die Einschulung
Erst nach meiner Intervention waren wir im Normal-Modus. Meine Tochter konnte sich auch erst ab diesem Moment auf die Einschulung wirklich freuen. Ihr hat der gesamte Termin Angst gemacht. Dabei sollen Kinder die Schule wertschätzen, ihre Lehrer achten und vor allem aus freien Stücken zum Lernen und unterrichtet werden aufbrechen. Mir ist bewusst geworden, dass wir unseren Kindern mit der Einschulung und allem Drum und Dran auch etwas von ihrem Kindsein nehmen, wenn wir eben nicht darauf achten, es nicht zu übertreiben.
An meine Einschulung kann ich mich nur dunkel erinnern. Ich weiß aber noch, wie ich versucht habe meiner Lehrerin, Frau Pfleghut, zu erklären, warum ich mich so einsam fühle und das ich zu meinen Eltern möchte. Sie hat kein einziges Wort verstanden. Ich sprach schließlich türkisch. In der Schule wurde deutsch gesprochen, eine Sprache, die ich bis zur Einschulung nicht gelernt hatte.
Schule war für uns erdrückend und Last
Erst als ich diesen bedrückenden Raum verließ und meine Mutter und mein Vater mich am Tor der Schule abholten, war ich erleichtert. Doch jetzt sollte ich jeden Tag in dieses Gebäude, indem man mich nicht verstand. Viel bedrückender muss es meinen Geschwistern gegangen sein. Mein Bruder und meine Schwester haben keine Einschulungstüte erhalten. Sie mussten in die Ausländerklasse und deutsch pauken.
Unsere Tochter spricht bereits deutsch, sie hat den Kindergarten und die Vorschule besucht. Ihre Lesekenntnisse werden immer besser und auch das Schreiben beherrscht sie schon mal gut, was hoffentlich durch den Unterricht alles noch besser wird. Aber der erste Tag sollte etwas Schönes für sie sein und sie saß bei ihrer Einschulung vorne mit anderen Schüler*innen und war, bis man sie aufgerufen hat, irgendwie doch eingeschüchtert vom ganzen Prozess.
Kampf gegen strukturellen Rassismus
Am Ende kam sie aber glücklich zu uns und wir haben noch ein paar Erinnerungsfotos vor einer hübsch hergerichteten Tafel gemacht. Zur Feier des Tages ging es dann auch noch schnell zur Eisdiele. Zu Hause angekommen wurde die Tüte geöffnet und die vielen Spiel-, Lern- und Knabber-Sachen waren da. Mein Sohn hatte, damit er sich nicht vernachlässigt fühlt eine eigene kleine Tüte erhalten. Jetzt aber wollte er am Schatz seiner Schwester teilhaben.
In meiner Schultüte war damals billige Schokolade von Aldi und viel Obst und Gemüse. Das war nicht so teuer wie Bonbons. Ich hatte keine besondere Kleidung, sondern die Second-Hand-Kleidung von irgendjemanden, der seine Sachen in den Sperrmüll geschmissen hatte. Für mich gab es kein Spielzeug. Es war der Beginn meines Kampfes gegen strukturellen Rassismus, der mich immer wieder benachteiligen, aber am Ende nicht von meinem eigenen Weg und meinen eigenen Entscheidungen abbringen sollte.
Das Schuldgefühl der BiPoc, die Erfolg haben
Heute gab es auch Familien, die aus Hartz IV ihren Lebensunterhalt beziehen, genauso wie es auch Schüler*innen gab, die schon in so kleinem Alter strukturellem Rassismus an der anderen Schule im Stadtteil bereits begegnet sind und jetzt zu uns wechseln. In solchen Momenten bin ich froh, dass wir unsere Kinder bisher von solchen Erlebnissen schützen konnten und auch abschirmen konnten. Es ist aber nur eine Frage der Zeit, bis sie ihre ersten Erfahrungen machen, die sie prägen werden. Bis dahin wollen wir sie aber Kinder sein lassen.
Auf der anderen Ebene fühle ich mich irgendwie immer wieder schuldig. Es geht mir da, wie vielen BiPoC. Wenn man Erfolg hat, fängt man an, an dem eigenen Erfolg zu zweifeln. Man fragt sich, gerade als religiöser Mensch, ob man all diese schönen Dinge verdient hat. Ich als Muslim bin dankbar dafür, dass ich vieles anders machen und handhaben kann, als viele andere Menschen. Alhamdulillah. Aber ich vergesse auch nie, woher ich herkomme und wieso ich vielen Menschen geholfen habe, aus der gleichen Situation herauszukommen.
Was wirklich gefehlt hat: ein muslimischer Gottesdienst
Was mir heute tatsächlich gefehlt hat, dass kann ich durchaus sagen, war ein Programm, dass ich selbst angestoßen und gefördert habe. Während Gottesdienste für Erstklässler*innen heutzutage in fast allen Kirchen üblich sind, gibt es solche Gottesdienste mittlerweile auch bei muslimischen Gemeinden. Das war nicht immer so und leider bleibt es auch immer noch bei zu wenig angeboten. Ich hätte mir heute gewünscht, vor oder nach der Einschulung, einen solchen Termin zu besuchen und wahrzunehmen. Es hätte mich vermutlich etwas weiter geerdet.
Wer weiß, wir haben noch einen Sohn und vielleicht, sollten wir diesen Tag erleben, können wir dann im Anschluss nicht nur Eis essen, sondern in die nächste Moschee, um einen kleinen Gottesdienst in der Moschee besuchen und damit auch einen spirituellen Aspekt des Lernens zu stärken. Schule bedeutet eben nicht nur Lernen für den Beruf, sondern Lernen fürs Leben. Leider fehlt der Aspekt, dass wir auch für das Jenseits lernen müssen. Und Spiritualität lernt man nicht an staatlichen Schulen.